Wann darf ich mich wieder verlieben?

Wann darf ich mich wieder verlieben?

Mein Blogbeitrag wurde im Dezember 2017 von der FAZ https://lebenswege.faz.net/veröffentlicht

Vor acht Monaten verstarb die Frau von Martin F. (51) nach monatelangem Kampf gegen den Krebs. Über 27 Jahre waren sie ein Paar, verstanden sich bestens und hatten noch so viel vor in ihrem Leben. Bis zuletzt hat seine Frau alles geregelt. Selbst die Einweisung aus der eigenen Wohnung in ein Hospiz hat sie veranlasst, wo sie nach zwei Tagen im Beisein ihrer Familie verstorben ist. Zur Beerdigung kamen unzählige Menschen, Kollegen, Freunde, Nachbarn und Verwandtschaft.

Die darauffolgenden Wochen waren begleitet von viel Organisatorischen, wo es wenig Zeit für die Trauer gab. Da Martin F. Führungskraft in einem Unternehmen ist, haben die Unternehmensleitung, seine Kollegen und seine Mitarbeiter sehr viel Rücksicht auf ihn genommen. Die Abwechslung der Arbeit tat ihm gut. „Ich knall mich voll mit Arbeit. So bin ich zumindest Tagsüber abgelenkt,“ hören die engsten Mitarbeiter oft von ihm. Die Abende zuhause sind begleitet von einer emotionalen Achterbahnfahrt. Da ist der schöne Garten, ein Steckenpferd seiner Frau, dem jetzt die pflegende Hand sichtbar fehlt. Da ist die Inneneinrichtung, die ihre Handschrift trägt und ganz zu schweigen von der gute Küche, die jetzt fehlt.

Morgens alleine Frühstücken, Abends nachhause kommen und keiner begrüßt einen. Stille, wo vorher immer jemand zuhause war. Und dann Abends allein ins Ehebett. Neben sich ein leeres Bett und wenn sich die Augen schließen kommen die Bilder und Erinnerungen an die guten Zeiten wieder hoch. Der Trauer weg zu laufen, gelingt nicht.

Ein guter Freund bietet Martin F. seine Hilfe an, was er in der Situation gerne annimmt. Nun hat er jemanden zum reden, der seine Tränen akzeptiert und ihn so mit seinen emotionalen Schwankungen nimmt, wie er ist. Das geht so eine Weile bis Martin F. merkt, dass der gute Freund nicht mehr so zuhört wie am Anfang und oft auch seine eigenen belastenden Dinge erzählt. Martin F. fühlt sich nicht mehr so verstanden und löst den Kontakt einige Wochen später auf.

Nach acht Monaten geht Martin F. zu einer Feier in den ortsansässigen Sportverein. Der Sportverein, wo seine Frau sehr aktiv war. Im Sportlerheim zeugen viele Fotos von einer engagierten und herzlichen Frau. Selbstverständlich kommen die Gespräche auf seine Frau. Bei einem dieser Gespräche sitzt er mit Lisa S. (50) zusammen, die vor sieben Jahren ihren Mann nach langer Krankheit verloren hat. Sofort ist eine Verbindung da, weil sich Martin F. so gut in seiner Trauer unterstützt fühlt. Er sagt etwas, sie hört zu und er fühlt sich verstanden. Viele Wochen treffen Sie sich, telefonieren, reden und sind für einander da, ohne das Sexualität eine Rolle spielt.

Ganz langsam entwickelt sich ein kleines Pflänzchen der Zuneigung. Erste Berührungen, zaghafte Annäherungsversuche und der erste Kuss.

Auf dem Heimweg und Zuhause kommen dann die Fragen:

  • Was würde meine Frau dazu sagen, wenn sie das wüsste?
  • Wie würde meine Frau agieren, wenn ich verstorben wäre?
  • Was sagt die Verwandtschaft, dass ich mich so schnell wieder verliebt habe?
  • Wie reagiert die Nachbarschaft?
  • Was sage ich meinen Freunden, dass ich mich frisch verliebt habe?
  • Wann ist eigentlich der richtige Zeitpunkt für eine neue Beziehung, nach dem der Partner verstorben ist?
  • Welche Konventionen muss ich einhalten?
  • Darf ich überhaupt wieder eine Partnerschaft eingehen?
  • Muss ich das berühmte Trauerjahr abwarten?
  • Und viele Fragen mehr

Dieser Prozess kann von jeder Menge Unsicherheit, Schuldgefühlen und Ängsten begleitet sein. Hier kann die Frage helfen: Was würde sich mein verstorbener Partner für mich wünschen?

Selbstverständlich darf sich jeder Mensch, auch ein Trauernder, verlieben. Sich zeitliche Beschränkungen aufzuerlegen ist nicht sinnvoll, und trotzdem gibt es zwei Unterschiede.

Eine neue Beziehung macht keinen Sinn, wenn dadurch die Trauer beiseite geschoben werden soll. Diese Beziehungen halten erfahrungsgemäß nicht lange, und der neue Partner fühlt sich später eventuell wie ein seelischer „Mülleimer“ ausgenutzt. Der neue Partner sollte sich vor einer Beziehung klar werden, was auf ihn zukommen kann.

Wenn die Trauer über den verstorbenen Partner ihren Raum bekommt, ist es völlig in Ordnung eine neue Partnerschaft einzugehen. Für den neuen Partner ist es jedoch eine hehre Aufgabe mit der Situation angemessen umzugehen. Letztendlich gehen beide Partner eine (imaginäre) „Dreierbeziehung“ ein, weil die Trauer über den verstorbenen Partner immer wieder ein Thema ist, nicht nur an dem Todes- und Geburtstag des Verstorbenen. Für beide Seiten gehört sehr viel Verständnis und Offenheit zum Alltag.

Autor Ulrich Welzel