Keiner fragt mich, wie es mir geht
Wenn ein Kind stirbt ist das eine Katastrophe für alle Familienmitglieder.
Auf einer Messe komme ich am Stand eines Ausstellers mit einem Mitarbeiter ins Gespräch. Nach dem ersten Small Talk und der Frage was ich beruflich mache, nimmt er mich auf die Seite und erzählt mir, dass vor drei Jahren sein zwei Tage alter Sohn plötzlich und unerwartet verstorben ist. (Ärzte sprechen in dem Fall vom Plötzlichen Kindstod, wo scheinbar gesunde Säuglinge oder Kleinkinder plötzlich versterben.) Das ein Kind verstirbt, ist eine Situation die sich kein Mensch vorstellen kann und will.
Nach überwundenem Schock und der Beerdigung ist er nach drei Wochen wieder zur Arbeit gegangen. Die Kolleginnen und Kollegen haben ihn grundsätzlich gut aufgefangen und viel Rücksicht auf ihn genommen.
Zwei Jahre lang haben sie sich immer wieder nach dem Befinden seiner Frau erkundigt, und mit Tränen in den Augen lässt er einen Blick in sein Inneres zu: „…keiner fragt mich, wie es mir geht. Ich leide doch auch.“
So aufmerksam die Kolleginnen und Kollegen in der Situation waren, es fehlt etwas. Es ist etwas anderes, nicht nach dem Befinden des Kollegen zu fragen, sondern nur nach dem Befinden der Ehefrau, um so einer möglichen starken Emotion des Kollegen zu entgehen.
Unsicherheit lähmt die Kommunikation
Betroffene erleben diese Situationen immer wieder. Oft ist es die Unsicherheit, die uns zurückhält, proaktiv auf Betroffene zuzugehen. Hinzu kommt der Arbeitsdruck, was bedeuten kann, dass Kolleginnen und Kollegen glauben, nach ein paar Wochen sei wieder alles gut, und die Betroffenen könnten weiterarbeiten wie zuvor. Nein, es ist nicht so!
Eltern die ein Kind, egal in welchem Alter, verlieren, trauern sehr sehr lange.
- Die 45-jährige Kollegin trauert um ihren 19-jährigen Sohn, der bei einem Autounfall verstorben ist.
- Der 60-jährige Kollege trauert um seine 39-jährige Tochter, die an einer Krebserkrankung gestorben ist.
- Der oben genannte 31-jährige Kollege trauert um seinen Sohn, der durch den plötzlichen Kindstod verstorben ist.
Bei Vorversterben (Vor den Eltern versterben) bricht bei den Eltern, im wahrsten Sinne des Wortes, die Welt zusammen, und die Trauer wird erfahrungsgemäß sehr sehr lange dauern. Ein Leben lang.
Externe Hilfen wie Kontakte zu Beratungsstellen und/oder Selbsthilfegruppen können Betroffenen erfahrungsgemäß bei der Stabilisierung helfen.
Als Vorgesetzter oder Kollegin den Betroffenen aus dem Weg zu gehen, wird von Betroffenen sofort registriert.
- „Er sah mich, und ist dann schnell durch eine Tür verschwunden.“
- „Sie kann mir nicht mehr in die Augen schauen.“
- „In den Pausen sitze ich immer alleine in der Kantine!“
In diesen Situationen erleben Vorgesetzte, sowie Kolleginnen und Kollegen, leider erst im Nachhinein, oft den Rückzug von Betroffenen, bis hin zu Kündigungen.
Als Vorgesetzte oder Vorgesetzter, als SiFa, als Kollegin oder Kollege sollte das Gespräch proaktiv gesucht werden, und es ist vollkommen in Ordnung die eigene Unsicherheit offen anzusprechen. Die Betroffenen verstehen es in jedem Fall. Diese Ansprache gilt